Kamingespräch: Vom Hausbesetzer in Berlin zum Schulamtsleiter in Oldenburg

Neben einem wunderschönen alten Klavier mit antik anmutenden Kerzenleuchtern steht der eindrucksvolle Kamin im kleinen Festsaal des Phönix – aufgrund der frühlingshaften Temperaturen ohne flackernde Flammen, dafür mit reichlich Charme. Der Atmosphäre an diesem Mittwochabend tut das Fehlen des Feuers keinen Abbruch, locker, gelöst, fröhlich begrüßt Matthias Welp selbst die Gäste. Der heutige Talk-Partner im Rahmen des Kamingesprächs der Marketing Pioniere leitet seit 2015 das Amt für Schule und Bildung der Stadt Oldenburg. Dass diese Position zu Beginn seiner beruflichen Karriere so gar nicht absehbar schien, erzählt er den Anwesenden in einer sehr interessanten und lebhaften Diskussionsrunde.

Geprägt habe ihn vor allem einer seiner ersten Kollegen, Günter, den er als junger Mann im Rahmen seiner Elektrikerausbildung kennenlernte. Dessen Leitspruch „Geht nicht, gibt’s nicht“, prägt Welp bis heute. Was ihm vor allem am handwerklichen Beruf des Elektrikers gefallen hat? „Am Ende des Tages konnte man sich ansehen, was man geschafft hat.“ Im aktuellen Büroalltag sei dies leider zumeist nicht so. Im Anschluss seiner Ausbildung als Elektriker meldete Welp ein Gewerbe an und reiste gemeinsam mit einem Freund arbeitend durch die Welt. So landete er schließlich in der Hausbesetzerszene in Berlin. Dort war er „dann eben der Elektriker“, erzählt Welp lachend. Innerhalb dieser Szene lernte er viel, auch für sein späteres Berufsleben. Es galt, „andere Meinungen auszuhalten, da habe ich ganz viele Kompetenzen erworben, die ich heute noch nutzen kann.“ Welp entschloss sich anschließend, die Fachhochschulreife nachzuholen und studierte Sozialwesen. 16 Jahre lang war er dann beim Bildungswerk angestellt, am Ende mit Personalverantwortung für über 100 Mitarbeitende. „Das Bildungswerk war mein Baby“, sagt er über diese Zeit. Dass er aus dieser Komfortzone letztendlich wieder ausbrach, sei trotzdem genau der richtige Schritt gewesen: „Man sollte sich von Zeit zu Zeit mal verändern, das tut gut“. Nach einer Anstellung im Team Wendehafen mit bewusst weniger Gehalt und weniger Verantwortung kam das Jobangebot als Schulamtsleiter. Eigentlich wollte Welp dieses Angebot gar nicht annehmen, entschied sich letztendlich aber doch dazu, 2015 den Posten anzutreten. Welp ist seitdem zuständig für alle städtischen Bildungseinrichtungen. „Ein Schritt, den ich bis heute nicht bereut habe. Mein Job macht mir Spaß“, erzählt er.

Doch Verantwortung kommt von verantworten. Welp stand plötzlich im Mittelpunkt, wenn kritische oder verändernde Entscheidungen getroffen werden mussten, auf Partys war er oft Gesprächsthema, ein ungewohntes Gefühl. „Auf einmal festzustellen, es gibt Menschen, die demonstrieren gegen dein Handeln, war am Anfang hart“. Er lernte, mit Gegenwind und negativer medialer Berichterstattung umzugehen, denn letztendlich habe er verstanden, worum es wirklich gehe: „Es geht um deine Position, um deine Entscheidungen, nicht um deine Person.“

Auch die Coronakrise war eine mehr als herausfordernde Zeit: „Auf diesen Fall [Corona] waren wir nicht vorbereitet. Wir haben teilweise morgens eine Entscheidung getroffen, die wir abends wieder einkassiert haben“. Das Team sei in der Krise zusammengerückt, man habe aber auch deutlich die Schwächen des Verwaltungsapparates aufgezeigt bekommen. Die oft zu starren Strukturen, das Aufhängen an Rechtsgrundlagen machten das Arbeiten oft wenig flexibel und ziemlich träge. „Daran arbeiten wir“, berichtet Welp. „Schule und Bildung stehen vor einem riesigen Transformationsprozess, dazu möchte ich meinen Beitrag leisten.“ Erste Schritte der Veränderung sind bereits erkennbar: Beim Bau der neuen Grundschule auf dem Fliegerhorstgelände, die in einem breit angelegten Beteiligungsprozess (sog. Schulbauwerkstätten) geplant wird, soll es gar keine klassischen Klassenräume mehr geben, sondern Lerninseln; in denen Kinder dann altersgemischt gemeinsam und selbstbestimmt lernen können. „Kinder sollen in ihrem eigenen Tempo lernen können“, befindet Welp. Und schließt mit wegweisenden Worten für zukünftiges Handeln: „Irgendwas tut sich immer auf“.

Wir bedanken uns recht herzlich für das Gespräch, die tolle Diskussion und den schönen Abend.

Text + Fotos: Annika Hüve

Moderation: Henning Hinrichs

Annika Hüve

Annika Hüve

Teilen:

Folge uns:

DER

NEWSLETTER

Melden Sie sich hier für unseren Newsletter an und erhalten Sie regelmäßige Updates rund um den Marketing Club Weser-Ems.